Dublin-Asylverfahren in Zeiten der Corona-Pandemie

Die Bundesregierung zeigt sich eine Woche vor Übernahme der europäischen Ratspräsidentschaft bei der Zuständigkeitsverteilung für Asylverfahren innerhalb der EU höchst unsolidarisch und torpediert damit die Möglichkeiten einer vertrauensvollen Zusammenarbeit innerhalb der EU. Als einziger Mitgliedstaat hat Deutschland entgegen der eindeutigen Empfehlung der Europäischen Kommission die Überstellungsfristen während der Corona-Pandemie „eingefroren“, damit die Zuständigkeit für die Asylverfahren nach sechs Monaten nicht auf Deutschland übergeht. Damit werden alle Beteuerungen, man werde sich während der Ratspräsidentschaft für eine faire Verantwortungsteilung innerhalb der EU einsetzen und das Dublin-System von Grund auf reformieren, noch unglaubwürdiger.

Allein die riesige Zahl von über 20.000 Menschen, deren Überstellung zeitweise ausgesetzt wurden und die seit dem 15. Juni in andere EU-Mitgliedstaaten abgeschoben werden können, ist erschütternd. Diese Menschen müssen jetzt gerichtlich gegen ihre Überstellungen vorgehen -ein bürokratischer Irrsinn. Es ist völlig unverständlich, warum die Bundesregierung sich an dieser Stelle in einen Konflikt mit der Kommission verrennt.

Insbesondere mit Blick auf das von der Pandemie besonders betroffene Italien muss klar sein, dass eine Überstellung in das italienische Asylsystem unmöglich vorgenommen werden kann. Zudem hat die italienische Regierung klar gemacht, dass sie Asylsuchende deren Dublinfrist über die Coronazeit abgelaufen ist, nicht zurücknehmen wird.

Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung die überfällige Aufnahmen einiger weniger hundert Schutzbedürftiger von den griechischen Inseln, als großen Akt der Humanität zelebriert. Sie muss mindestens auch die Verantwortung für Asylverfahren von Menschen übernehmen, die sich seit sechs Monaten in Deutschland aufhalten. Diese Menschen dürfen nicht noch länger im Limbo gelassen und verunsichert werden. Sie brauchen endlich Rechtssicherheit.

Die Zeit berichtete.