Bundestagsdebatte zu Sicheren Herkunftsstaaten

Luise Amtsberg redete am 03.07. in der Bundestagsdebatte zum Thema Sichere Herkunftsstaaten für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne. Die taz, Die Zeit, Deutsche Welle, Migazin und Das Parlament berichteten.

Die Rede kann hier nachgeschaut werden und im folgenden nachgelesen werden:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Zahlreiche Flüchtlings-, Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisationen haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten an uns als Parlamentarier, an den Bundesrat und an die Bundesregierung gewandt, um die Pläne, die drei schon mehrfach genannten Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, zu verhindern. Wir finden diese Aufrufe richtig, denn die Grünenfraktion widerspricht vehement der Auffassung der Bundesregierung und der Großen Koalition, dass Asylbewerber aus den Balkanstaaten keinen Schutz brauchten und Armutszuwanderer seien.

Fakt ist, dass ethnische Minderheiten und Homosexuelle extrem diskriminiert werden, die serbischen, mazedonischen und bosnischen Behörden sie nicht ausreichend vor Übergriffen schützen wollen oder können, und es gibt eklatante Mängel im Justizsystem. Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma in den Balkanstaaten haben zudem eine derartige Dimension angenommen, dass sie für diese Menschen existenziell und lebensgefährdend werden können. Dass Sie, Herr de Maizière, sagen, es gebe keine Verfolgung von Roma, erschließt sich mir nicht. Ich halte das für eine ganz gewagte These und empfehle noch einmal, vielleicht im Kontext dieses Parlamentes, in diese Region zu reisen und vor Ort mit Betroffenen zu reden. Gerade weil solche im Europarecht angelegten Verfolgungsmomente, wenn sie im Kontext eines Beitrittslandes stattfinden, nicht so offensichtlich auszumachen sind wie in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt, ist eine einzelfallbezogene Betrachtung in einem sorgfältigen und individuellen Asylverfahren dringend notwendig.

Der vorliegende Gesetzentwurf verhindert eine – das sage ich ganz bewusst – unvoreingenommene Anhörung der Fluchtgründe, wenn man einen Staat vorher pauschal als sicher einstuft. Ihre Argumente zu diesem Gesetzentwurf folgen zudem einer wirklich schrägen Logik. Ich referiere aus den Erfahrungen der Anhörung im Innenausschuss. Die Logik heißt übersetzt: Wenn wir schon so viele Syrer aufnehmen, können wir nicht auch noch so viele Mazedonier oder Bosnier aufnehmen. Das läuft frei nach dem Motto: Das Boot ist voll. Wir müssen uns entscheiden, wen wir aufnehmen. So funktioniert unser Asylrecht nicht, auch das europäische funktioniert so nicht; denn der Schutzanspruch ist keine Auslegungssache. Das ist auch gut so. Es kommt eben nicht auf die Nationalität oder die ethnische Zugehörigkeit an, sondern auf die Gründe eines einzelnen Menschen und die Dinge, die er oder sie erlebt hat. Weil Sie das eben nicht steuern können, greifen Sie zu dem Mittel der sicheren Herkunftstaaten. Sie bestreiten noch nicht einmal – zumindest einige aus der Fraktion der CDU tun das nicht -, dass es Mehrfachdiskriminierungen gibt, die nach Europarecht einen Menschen in die Lage versetzen, Schutz zu beanspruchen. Trotzdem halten Sie es für gerechtfertigt, das Grundrecht auf Asyl einzuschränken.

Meine Damen und Herren, ich finde, das geht entschieden zu weit. Und Flüchtlingsgruppen gegeneinander auszuspielen, ist wirklich unter aller Kanone. Für die Menschen, die es betrifft, hat es enorme Auswirkungen. Die Frist, gegen eine Ablehnung mit dem Vermerk „offensichtlich unbegründet“ zu klagen, beträgt eine Woche. Ich brauche keine Juristin zu sein, um zu wissen, dass effektiver Rechtsschutz ganz anders aussieht. Darüber hinaus berufen Sie sich immer auf Frankreich, das diese Staaten bereits als sicher eingestuft hat, und referieren auf die niedrige Schutzquote. Ich habe es schon einmal gesagt: Das sind Fakten, die Sie selber geschaffen haben. Sie beziehen sich also auf Frankreich, halten es aber nicht für nötig, zu erwähnen, dass viele andere Staaten das nicht so handhaben, also diese Länder nicht als sicher einstufen, und dass die Schutzquoten in anderen Ländern deutlich höher sind als bei uns. Für mich ist das Augenwischerei. Was ich auch nicht mehr hören kann, ist das Argument, dass ein Beitrittskandidat wohl per se ein sicheres Land sein muss. Ich weiß nicht, was dieses Argument soll. Beitrittsverhandlungen sind dafür gedacht, Staaten, noch dazu welche, die sich nach wie vor im Aufbau befinden, dabei zu unterstützen, die Anforderungen aus dem Kapitel für Menschenrechte und Justiz schrittweise umzusetzen. Wir erwarten von diesen Staaten, dass sie diese Diskriminierungen abbauen. Natürlich: Das ist unser Ziel. Aber diesen Prozess beschleunigen wir eben nicht durch den Passus oder den Stempel des sicheren Herkunftsstaates. Im Gegenteil: Wir senden eine ganz andere Botschaft. Kurzum: Ihre Politik in dieser Sache, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, soll den Korridor für Schutzsuchende verengen. Das ist das Ziel dieses Gesetzentwurfes. An Lösungen, die den Menschen auf lange Sicht tatsächlich helfen, auch hier in Deutschland, arbeiten Sie leider nicht.

Liebe CDU-KollegInnen, Sie rechtfertigen den Entwurf mit der Situation in den Kommunen. Es ist richtig, über die Kommunen zu reden, denn sie stehen vor großen Herausforderungen, manche vor Herausforderungen, die sie nur schwer oder vielleicht auch gar nicht meistern können. Aber das bedeutet doch nur: Wenn mehr Flüchtlinge kommen, dann muss sich auch unser Engagement ‑ auch unser finanzielles ‑ vergrößern. Das heißt doch nicht, dass man auf der anderen Seite eine Attacke auf das Asylrecht fahren kann, indem Sie sagen: Wir verengen den Korridor und lassen die Leute nicht mehr rein. Nebenbei bemerkt haben wir in den vergangenen Tagen überall lesen können, was Schutzsuchende und Geflüchtete selbst zu ihrer Situation zu sagen haben. Es lohnt sich, das anzusprechen. Denn das Parlament ist der richtige Ort dafür. In diesem Parlament entscheiden wir über das Asylrecht. Zu Recht fordern die protestierenden Flüchtlinge in Berlin ein liberales Bleiberecht, Bewegungsfreiheit und Zugang zum Arbeitsmarkt ohne Vorrangprüfung. Das wurde übrigens hier gar nicht erwähnt. All das lässt sich in den Vorstößen des BMI nicht finden.

Liebe CDU/CSU, wenn Sie den Kommunen helfen wollen, dann schaffen Sie das Asylbewerberleistungsgesetz ab und helfen Sie bei der Unterbringung! Damit würden Sie die Kommunen wirklich entlasten, und dann hätten diese auch kein Problem damit. Zum Verfahren werde ich jetzt nichts mehr sagen. Interessant ist aber, dass hier nicht auf den anderen Teil in dem Gesetzentwurf eingegangen wurde, nämlich den Arbeitsmarktzugang und die großen Verbesserungen, die in diesem Zusammenhang angekündigt wurden. Daran erinnere ich alle in diesem Hause und fordere Sie auf: Ziehen Sie die beiden Vorschläge auseinander! Dann haben wir vielleicht auch etwas zum Zustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wollen diesen Angriff auf das Grundrecht auf Asyl? Bitte schön. Aber Sie haben die Rechnung ohne die Grünen in den Ländern gemacht. Restriktionen im Asylrecht mit grüner Unterstützung wird es so nicht geben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.