Bundestagsdebatte zur aktuellen Stunde „Schutzstatus syrischer Flüchtlinge“

Luise sprach für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen in der aktuellen Stunde zum Thema „Schutzstatus syrischer Flüchtlinge“ am 11.11.2015.

Luises Rede im Wortlaut:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

diese aktuelle Stunde heute ist notwendig. Nicht nur, weil es hier um einen unerträglichen Vorstoß des Innenministers gegen syrische Schutzsuchende geht, sondern weil die Konzeptlosigkeit, die Kopflosigkeit dieser Bundesregierung in den vergangenen Tagen uns förmlich dazu zwingt. Seit Wochen werden wir Zeuge eines internen Machtkampfes innerhalb der Unionsfraktionen – aber auch innerhalb des Kabinetts.

Ich sage es ganz deutlich: Das Bild, das sie hier bei einer der größten innen- und europapolitischen Herausforderungen, der unser Land jemals gegenüber stand, abgeben, ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die mit Hass im Herzen und mit Galgen in der Hand auf unseren Straßen demonstrieren.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
mit einer Änderung des Status syrischer Flüchtlinge will der Innenminister die Möglichkeit beschränken, dass syrische Flüchtlinge Ihre Familien auf sicherem Wege nach Deutschland bringen können.

Was zunächst vermutlich ein sonderbarer Alleingang des Ministers war, der weder den Koalitionspartner, noch die zuständige Behörde, noch das zuständige Kanzleramt eingebunden hat, erfährt mittlerweile eine breite Unterstützung aus den Reihen von CDU/CSU. Die CSU und auch Finanzminister Schäuble sprachen sich für den Vorschlag aus und fallen damit erneut der Kanzlerin in den Rücken.  

Aber ganz ehrlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat eigentlich einer von Ihnen diesen Vorschlag mal zu Ende gedacht? Das Bundesamt hat die Marke von einer Viertelmillion Asylanträgen im Stau längst überschritten. Mittlerweile sind es 330.000 Anträge in der Warteschleife. Hinzu kommt eine hohe Zahl noch nicht erfasster Anträge.  Und Sie fordern, dass man nun das Schnellverfahren für syrische Flüchtlinge aussetzt? Mit welchem Personal denn? Mit welchen Kapazitäten? Und vor allen Dingen, in welch einem Zeitraum? Ihnen muss doch klar sein, dass Sie damit die Lage weiter verschärfen?  Dass das Innenministerium, wie wir heute im Ausschuss erneut erleben durften, keinen Plan hat, wie sie auf europäischer Ebene Solidarität und Gemeinsamkeit herstellen kann, dass keine der europapolitischen Forderungen auch nur ansatzweise mit Konzepten unterlegt ist, ist schon traurig genug.

Dass Sie aber mit der Einschränkung beim Familiennachzug die einzige legale Möglichkeit kappen wollen, die syrische Angehörige haben, ist bitter. Ich darf daran erinnern, dass Sie, Herr Innenminister, auch Verfassungsminister sind. Schauen Sie sich Artikel 6 nochmal an! Die Folge dieser Politik dürfte erfahrungsgemäß klar sein:Noch mehr Menschen werden auf unsichere Boote steigen und einen anderen, viel gefährlicheren Weg suchen, zu ihren Angehörigen zu kommen. Und für die Menschen, die bereits hier sind, wird das Leben zu einer unerträglichen Zitterpartie. Ich persönlich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.

Und als wenn das nicht schon genug ist, ein weiterer Vorschlag des Ministers. Das Aussetzen der Dublin-Regelung für syrische Flüchtlinge, dass Monate der Kapazitäten eines BAMF-Mitarbeiters frisst und am Ende meist nicht in einer Rücküberstellung mündet, hat noch nicht mal drei Monate überlebt, da ändert der Minister wieder seine Meinung. Und wieder läuft er in die entgegengesetzte Richtung. Die Folge: ein noch größerer Antragsstau. Ein Trauerspiel, bei dem der Innenminister scheinbar vergisst, dass er als Dienstherr auch eine Verantwortung den MitarbeiterInnen des Bundesamtes gegenüber hat.

Gerade die letzte Woche hat gezeigt: Sie haben keinen Plan! Und noch schlimmer: Sie haben keinen Kompass! Da wird ganz schnell auch mal ein Land wie Afghanistan zu einem, in das man bedenkenlos Leute zurückschicken kann. Dieses und die Maßnahmen gegen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge, Herr Innenminister de Maizière, sind mit nichts Anderem zu erklären als mit Angst, Panik und Überforderung! All das hat mit verantwortungsbewussten Handeln nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun! Deshalb ist es auch verständlich, dass die Kanzlerin Ihnen den Hut für dieses Thema weggenommen hat. Denn das Letzte, was Deutschland jetzt braucht, ist ein Innenminister, der kopflos, ängstlich und panisch ist.

Frau Bundeskanzlerin, weil Sie es verpasst haben, diejenigen, die auf dem Tisch tanzen, zur Raison zu rufen, ist die Meinungshoheit jetzt bei den Hardlinern der Innenpolitik. Nicht Sie und Ihr Kanzleramtschefs, sondern die bestimmen die Flüchtlingspolitik. Das ist bitter. Es wird nicht ihrem rechten Wählerrand helfen, die wählen im Zweifel das Original! Es ist höchste Zeit, dass Sie an dieser Stelle für Klarheit sorgen.

Ja, es ist richtig: Momentan gibt es etwas zu erkämpfen – nämlich die gesellschaftliche Mehrheit für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für den Schutz von Flüchtlingen, für eine tolerante Gesellschaft. Wir alle brauchen eine klare Haltung. Die aber bleiben Sie schuldig.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Ihr Beitrag wurde in der tagesschau aufgegriffen.