Link zum Antrag:
Für einen solidarischen und menschenrechtsbasierten Neuanfang in der europäischen Flüchtlingspolitik
Luises Rede vom 17.12.2020
Es gilt das gesprochene Wort!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Die griechischen Inseln sind mittlerweile zum Symbol einer gescheiterten europäischen Asylpolitik geworden. Es ist die Situation auf den griechischen Inseln, die uns verpflichtet, auch hier in diesem Hause darüber zu diskutieren, welchen Beitrag die Bundesrepublik leisten muss, um die fortdauernden Menschenrechtsverletzungen an Europas Grenzen endlich zu beenden!
Es ist genau ein Jahr her, da habe ich Bundeskanzlerin Merkel hier im Parlament gefragt, ob sie sich offen zeigt für die Aufnahme von 5.000 unbegleiteten Minderjährigen aus Griechenland. Die Antwort war, wenig überraschend, ausweichend: kein ja, kein nein. Und in der Antwort der Kanzlerin zeigt sich das Dilemma, das diese Bundesregierung seither mit sich trägt: Kein ja, kein nein. Humanität in Trippelschritten, das ständige Verstecken hinter der Untätigkeit anderer EU Mitgliedsstaaten. Aus Sorge davor, Fakten zu schaffen, die in einer dauerhaften Übernahme von Verantwortung seitens der Bundesrepublik mündet.
Immer wieder haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD uns hier erzählt, dass es nicht ginge, das Deutschland seinen eigenen Weg findet, sondern auf die anderen EU Staaten warten muss. Kein Alleingang hieß es immer. Es würde ja verhandelt werden auf europäischer Ebene. Aber dass Sie sich hinter dieser Argumentation nicht mehr verstecken können, ist mit Ende der EU Ratspräsidentschaft völlig klar geworden.
Denn wie sieht die Situation ein Jahr danach aus? Eine Einigung ist in weite Ferne gerückt und auch der Innenminister kann uns nicht sagen, wie diese Uneinigkeit aufgelöst werden soll.
Und mit Blick auf die griechischen Inseln? Wir haben vor einem Jahr schon Superlative verwenden müssen, um die menschenunwürdigen Zustände bspw. in Moria zu beschreiben. Heute kann ich nur sagen, gehen einem buchstäblich die Worte aus wenn man das versucht! Es macht mich sprach- und fassungslos, was wir mittlerweile bereit sind zu ertragen!
Genau 3 Monate ist es her, dass das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos abgebrannt ist. Durch das Feuer sind über 12.000 Menschen obdachlos geworden, darunter nach Angaben des UNHCR 4.000 Kinder mit ihren Familien.
Im neu geschaffenen Ersatz-Lager fehlt es an allem: Wasser, Essen, warmen Kleidung für den Winter, Duschen, Toiletten, Öfen. Wir sehen Bilder von überfluteten Zelten und durchnässten Kindern, die im wahrsten Sinne des Wortes im Schlamm versinken. Auf Samos behandeln Ärzte ohne Grenzen derzeit Babys mit Rattenbissen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen: man darf nicht wegschauen bei solchen Bildern. Dass es diese Umstände gibt, ist der Beweis dafür, dass der bisherige politische Weg falsch war!
Ja: die Bundesregierung hat Hilfsgüter entsandt. Und ja: die Bundesregierung hat Menschen eine Aufnahme in Deutschland ermöglicht. Aber Sie müssen doch selbst sehen, dass diese Unterstützung in keinerlei Relation zur vorherrschenden Not stehen! (KLATSCH)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Geheimnis, das wir Bündnisgrünen eine höhere Aufnahmebereitschaft von Deutschland fordern. Den Menschen, vor allem Kindern auf den griechischen Inseln muss JETZT geholfen werden. Und unsere Bundesländer und Kommunen stehen dafür bereit! Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass unsere aufnahmebereiten Kommunen deutlich mehr freie Kapazitäten gemeldet haben, als die Bundesregierung in den jeweiligen Kontingenten beschlossen hat.
Es ist auch kein Geheimnis, dass wir die Vorschläge der Kommission unterirdisch finden, da sie an den bestehenden Problemen leider gar nichts ändern würden. Im Gegenteil, sie wissen, dass gleichen Fehler des jetzigen Systems fortgeschrieben würden.
Um nur 3 davon zu nennen: Erstens: eine menschenrechtlich äußerst fragwürdige Behandlung von Schutzsuchenden durch eine mögliche Inhaftierung. Zweitens: kein Zugang zu einem rechtsstaatlich angemessenen Verfahren. Und drittens: Eine höchst unsolidarische Überbelastung der Ersteinreisestaaten durch Verfahren und Rückführungen direkt an und von der Grenze.
Kein Wunder, dass die südlichen Länder damit nicht einverstanden sind. Sie fordern zu Recht eine gerechtere Verantwortungsteilung angesichts der Diskussionen auf europäischer Ebene, die sich wieder nur darum drehen, wie die Mitgliedstaaten möglichst wenig selbst leisten müssen.
Echte Solidarität sieht anders aus! Echte Solidarität wäre eine Verteilung aller Schutzsuchenden nach der Ankunft auf die Mitgliedstaaten. So wären alle Mitgliedstaaten gleichermaßen für die Asylverfahren und Rückführungen zuständig. Aber nein, die Bundesregierung hält an der Auslagerung aller Verantwortung an die Außengrenzstaaten fest.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir uns in alle den Jahren nicht einen Schritt nach vorne bewegt. Die Blockadelager sind die gleichen, die Gründe sind die gleichen. Die Verhandlungen auf europäischer Ebene stecken in einer Sackgasse und auch die Kommissionsvorschläge konnten die alten Gräben nicht überwinden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das können wir besser. Das müssen wir besser können! Wir sind es nicht nur den Menschen auf den griechischen Inseln, sondern auch den ankommenden Schutzsuchenden auf den kanarischen Inseln und den frierenden Menschen entlang der Balkanroute schuldig.
Lassen Sie uns diesen Menschen beweisen, dass die Europäische Union aus mehr besteht als Außengrenzen und Abschottung. Lassen Sie uns die Grund- und Menschenrechte wieder ins Zentrum unseres Handelns stellen. Vielen Dank!