Rede zur Situation des Schiffs Lifeline

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Das, was die „Lifeline“ und vor allen Dingen die Menschen auf diesem Schiff in den letzten Tagen erleben mussten, ist in so vielen Punkten unwürdig und beschämend; man kann es nicht zusammenfassen. Sechs Tage unter schlimmsten Bedingungen einfach nur, weil Europa sich nicht einigen konnte, wer zuständig ist!
Die Seenotrettungsleitstelle in Rom sagt, es sei die Leitstelle in Libyen, die libysche Leitstelle sagt: „Ja, wir sind zuständig“, und meldet sich dann drei Tage lang nicht – auch nicht auf Nachfragen. Sechs Tage, in denen Menschen unter schlimmsten Bedingungen dicht gedrängt und zum Teil auch noch im Unwetter darauf warten mussten, dass endlich jemand die Courage hat, zu sagen: „Wir nehmen auf“!
Die „Lifeline“ ist in diesem Moment wieder unterwegs zurück nach Malta. Sie hat die Einfuhrerlaubnis bekommen, und ich möchte hier an dieser Stelle – auch im Namen meiner Fraktion – der Crew, der Besatzung, dieses Schiffes ausdrücklich dafür danken, dass sie es in einer solchen Situation geschafft hat, Menschenleben zu schützen und dafür zu sorgen, dass niemand über Bord geht und niemand sein Leben verliert. Wir hoffen wirklich, dass sie sicher im Hafen von Malta ankommen.
Wir sind auch dankbar für die Solidarität und die Aufnahmebereitschaft der anderen europäischen Staaten und dafür, dass sie sich, wenn auch spät, entschieden haben, hier eine gemeinsame europäische Lösung zu finden. Man muss aber eben auch klar sagen: Das ist nicht Ihr Verdienst, Herr Seehofer – vielen Dank, dass Sie jetzt hier sind –, sondern im Gegenteil: Sie haben die Lösung verzögert und durch eine deutsche Verweigerungshaltung über Tage auch die Sicherheit von Menschen aufs Spiel gesetzt.
Sie haben einmal mehr bewiesen, dass Sie nicht an einer europäischen Lösung interessiert sind; denn jetzt, genau in dieser Sekunde, hätten Sie zeigen können, dass Sie dazu fähig sind, mit anderen Staaten zu kooperieren, aber das haben Sie nicht getan.
Ihnen war es vermutlich wichtiger, die Kanzlerin genau in Bezug auf dieses Anliegen, das sie hat und in den nächsten Tagen auf einem EU-Gipfel verhandeln muss, nämlich die gemeinsame Asylpolitik, zu schwächen. Ich sage noch mal ausdrücklich: Sie müssen aufhören mit diesem Streit. Sie müssen aufhören, sich über diese Frage zu zerlegen; denn das gefährdet das Leben von Menschen und verhindert eine gemeinsame europäische Lösung in der Asylpolitik.
Herr Seehofer, Sie sind Bundesminister – Bundesinnenminister –, der die Interessen der Bundesrepublik vertreten muss. Sie sind nicht der Wahlkampfmanager der CSU. Sie sind verantwortlich für die Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland.
Ich bin dankbar und froh, dass aus den Bundesländern die Courage, die humanitäre Geste und das wirklich europäische Verhalten kamen. Dafür bin ich den Ländern ausdrücklich dankbar.
Als Begründung für Ihre Untätigkeit sagen Sie unter anderem, dass Sie keinen Präzedenzfall schaffen wollen. Ich frage mich wirklich: Wo waren Sie eigentlich die letzten Jahre, als nicht nur, aber auch zivile Seenotretter Tausende von Menschen vor dem Ertrinken bewahrt haben und immer in europäische Häfen einlaufen durften? Von welchem Präzedenzfall sprechen Sie hier?
Wenn, dann ist der ganze Vorgang rund um die „Lifeline“ ein Präzedenzfall für eine europäische Verteilung, an der die Bundesrepublik Deutschland wegen Horst Seehofer eben nicht teilgenommen hat.
Noch mal zu dem Argument, die zivile Seenotrettung sei Schlepperei und Beihilfe zur illegalen Einreise; das hört man von Teilen der Bundesregierung, aber auch von den Kolleginnen und Kollegen der Union immer wieder. Wenn der ehemalige Außenminister von „KZ-ähnlichen Zuständen“ in Libyen spricht, wenn man sich die Geschichten der Geflüchteten aus Libyen anhört – von der massiven Gewalt, die sie erlebt haben – und wenn man weiß, dass es über 2 000 bewaffnete Milizen im Land und eine Küstenwache gibt, die sich ebenfalls an menschenrechtsverachtenden Agitationen gegen Menschen beteiligen, dann können Sie doch nicht ernsthaft sagen, dass es sich bei Tripolis in Libyen um einen sicheren Hafen handelt. Sie können auch nicht verantworten, dass ein ziviles Schiff in diesem Hafen anlegt.
Herr Frei, ja, die Küstenwache in Libyen rettet auch Menschen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass in den letzten zwei Wochen so viele Leichen in Libyen angespült wurden wie noch nie zuvor. Das gehört auch zu dieser Wahrheit. Das lässt auch Rückschlüsse auf die Seenotrettungspolitik der libyschen Küstenwache zu.
Ich frage wirklich: Wollen Sie das verantworten? Oder sagen Sie wirklich, das ist Ihre Lösung? Wir wollen, dass die Schiffe in sichere Häfen zurückkehren, und Tripolis ist einer dieser sicheren Häfen. – Wenn nicht, dann müssten Sie Tunesien bitten oder andere Staaten finden, Flüchtlinge aufzunehmen. Finden Sie aber nicht. Das ist keine Lösung, was Sie hier vorschlagen. Das ist allerhöchstens das Überdauern einer medialen Debatte, die vor allen Dingen von rechts geführt wird.
Ich finde, das ist unfassbar. Es spottet den Werten, auf denen sich unser Europa gründet. Die Realitäten anzuerkennen, wirklich dafür zu sorgen, dass Fluchtursachen bekämpft werden und Libyen zu einem sicheren Land wird, das wären die Maßnahmen, die vielleicht dazu beitragen könnten, dass das Elend auf dem Mittelmeer gelindert wird.
Bis das nicht der Fall ist, gibt es nur eine einzige Antwort, und sie ist alternativlos. Sie heißt: Seenotrettung, also Menschen in Not auf dem Mittelmeer retten. Sie fliehen aus Libyen, weil sie dort schlichtweg nicht mehr existieren können, weil sie so viel Gewalt und Brutalität erlebt haben, dass sie freiwillig in Kauf nehmen, im Zweifel ihr Leben auf dem Mittelmeer zu verlieren.
Das ist eine Realität, die wir anerkennen müssen, wenn wir wirklich Menschrechtspolitik machen wollen. Die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung muss endlich ein Ende haben. Sie tun nämlich das, was jeder Mensch tun sollte: Menschenleben retten. Und sie haben dafür unsere vollste Solidarität.