Am 24.11.21 legten die Parteien der SPD, Bündnis 90/Die Grünen udn FDP ihren Koalitionsvertrag vor.
Den Koalitionsvertrag könnt ihr hier einsehen:
Luise leitete die Verhandlungen im Bereich Flucht, Asyl und Migration. Hier könnt ihr die Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe einsehen:
Nach vielen Wochen intensiven Verhandelns liegt nun unser Vorschlag für den ersten Koalitionsvertrag einer Ampelkoalition vor. In 22 Arbeitsgruppen haben wir gemeinsam darum gerungen, – bei aller Verschiedenheit – dem Anspruch einer Reform- und Fortschrittkoalition gerecht zu werden. Im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik, der Migrationspolitik und der Gestaltung unserer Einwanderungsgesellschaft können wir Euch nun ein Ergebnis präsentieren, das einen Aufbruch in ein neues „Jahrzehnt der Gesellschaft der Vielen“ beschreibt. Wir danken Euch und Ihnen für die Unterstützung auf diesem Weg, freuen uns, in den Austausch zu kommen und den Koalitionsvertrag gemeinsam mit Euch und Ihnen für unser Land als Einheit in Vielfalt umzusetzen.
Staatsangehörigkeitsrecht
Unserem Ziel, ein zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht auf den Weg zu bringen, kommen wir jetzt einen großen Schritt näher. Wir beenden die schleichende Aushöhlung des Staatsangehörigkeitsrechts und knüpfen an die erste große Reform unter Rot-Grün aus dem Jahr 2000 an, wo wir erstmalig mit der Tradition des wilhelminischen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes gebrochen haben. Die Staatsangehörigkeit wird ein dauerhaftes Band rechtlicher Gleichheit, Teilhabe und Zugehörigkeit werden. Mehr als 20 Jahre nach der unsäglichen „Doppelpass-Kampagne“ wird außerdem endlich die Einbürgerung für Alle unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit möglich sein. Darüber hinaus wird die Lebensleistung der sog. Gastarbeiter*innengeneration dadurch gewürdigt, dass wir nicht zuletzt ihre Einbürgerung erleichtern. Dies sind Meilensteine in der Einbürgerungspolitik, die endlich den Lebensrealitäten vieler Menschen in unserem Land gerecht wird.
Im Einzelnen:
- Einbürgerungen werden schneller ermöglicht (nach 5 bzw. 3 Jahren)
- Wir senken die Voraufenthaltszeit zum Erwerb einer Niederlassungserlaubnis, die künftig nach 3 Jahren erworben werden kann.
- Unbestimmten Einbürgerungsvoraussetzungen wie der “Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ werden wir durch klare Kriterien ersetzen.
- Wir stärken das Geburtsortsprinzip: Kinder, deren ausländischer Elternteil seit 5 Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt, werden von Geburt an deutsche Staatsbürger*innen.
- Einbürgerungen finden generell unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit statt. Lediglich ein Prüfauftrag für zukünftige Generationen eines so genannten Generationsschnittes mussten wir in Kauf nehmen.
Bleiberecht
Unser gemeinsam formuliertes Ziel ist es, die Kettenduldungen endlich abzuschaffen, um Menschen in Duldung Perspektiven zu eröffnen. Eine große Errungenschaft ist das Chancen-Aufenthaltsrecht. Vielfach werden Beschäftigungen unterbrochen, oder es scheitert die Aufnahme einer Beschäftigung, weil die Identität nicht geklärt ist oder kein Pass vorgelegt werden kann und dies den Betroffenen angelastet wird. Um zu einer pragmatischen Lösung zu kommen, braucht es die Verknüpfung von Aufenthaltssicherheit mit Identitätsklärung und Beschäftigungsperspektive. Deshalb erhalten Menschen, die seit 5 Jahren geduldet sind, ohne weitere Voraussetzung einen Aufenthaltstitel, um die Voraussetzungen für andere Bleiberechte erfüllen zu können. Auch wenn die Regelung als Kompromiss mit einem Stichtag versehen wurde, ist das ein großer Erfolg zur Reduzierung von Langzeitduldungen.
- Bestehende Bleiberechtsregelungen in §§ 25a, b AufenthG werden ausgeweitet. Wir konnten erreichen, dass die Voraufenthaltszeiten für gut integrierte Jugendliche auf 3 Jahre verkürzt werden und bis zum 27. Lebensjahr angewendet werden können. Erwachsene sollen schon nach 6 bzw. 4 Jahren bei Familien ein Bleiberecht bekommen.
- Die Ausbildungsduldung wird zu einer Aufenthaltserlaubnis.
- Die Beschäftigungsduldung wird entfristet sowie reformiert.
- Integrationsbarrieren reduzieren wir, das bedeutet: Die Duldung light wird abgeschafft, bereits in Deutschland Lebende unterliegen keinen Arbeitsverboten mehr. Daneben werden die Regelungen zum Spurwechsel überarbeitet, und eine rechtliche Grundlage für eine Versicherung an Eides statt zur Klärung der Identität wird eingeführt.
- Mit einem Chancen-Aufenthaltsrecht wollen wir Menschen in Kettenduldung eine echte Chance bieten: Menschen, die am 1.1.2022 seit 5 Jahren in Deutschland leben, sollen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis erhalten können, die an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft ist, um die Voraussetzungen für andere Bleiberechte erfüllen zu können.
- Von Gewalt betroffene Personen sollen nicht durch einen Aufenthaltstitel, der an den Status des*der Partners*Partnerin geknüpft ist, gezwungen sein, in gewaltvollen Situationen zu bleiben. Die Istanbul-Konvention setzten wir vorbehaltlos um und schaffen bessere Regelungen für Opfer häuslicher oder partnerschaftlicher Gewalt sowie Opfer von Menschenhandel.
Asylverfahren
Ziel ist es, die Asylverfahren so zu gestalten, dass sie fair, zügig und qualitativ hochwertig sind. Dafür braucht es eine stärkere Unterstützung und Begleitung der Asylsuchenden aber auch eine Entlastung der behördlichen Strukturen. Wir konnten die Einstufung weiterer sicherer Herkunftsländer verhindern, mussten jedoch zustimmen, dass die Verfahren aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote priorisiert werden.
- Wir führen eine flächendeckende und behördenunabhängige Asylverfahrensberatung ein.
- Widerrufsverfahren werden künftig nur noch anlassbezogen erfolgen.
- Wir wollen schnellere Entscheidungen in Asylprozessen und eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung.
- Vulnerable Gruppen sollen von Anfang an besonders unterstützt werden.
Aufnahme
Wir werden unserer humanitären Verantwortung gerecht, indem wir den sicheren Zugang zu Asyl stärken. Mit den getroffenen Vereinbarungen wollen wir schneller und zielgerichteter auf Krisen reagieren. Kompromissbereit mussten wir uns bei der konkreten Nennung von Zahlen im Vertragstext zeigen.
Im Einzelnen:
- Entlang der vom UNHCR gemeldeten Bedarfe werden wir das Resettlementprogramm verstärken.
- Bundesaufnahmeprogramme werden verstetigt und ein Programm für Afghanistan aufgelegt, das sich in der Höhe an die im Zuge des Syrienkrieges durchgeführten Programme orientiert.
- Das Ortskräfteverfahren werden wir reformieren, so dass gefährdete Ortskräfte durch unbürokratische Verfahren in Sicherheit gebracht werden können.
- Wir werden humanitäre Visa für gefährdete Personen ermöglichen und das Visaverfahren digitalisieren.
Familiennachzug
Für uns ist klar: Familien gehören zusammen und stehen unter einem besonderen Schutz. Deswegen haben wir uns dafür eingesetzt, den Familiennachzug vollumfänglich zu ermöglichen und machen Schluss mit der Kontingentierung dieses wichtigen Grundrechts, das Familien über Jahre voneinander trennte.
- Zum Ehepartner oder zur Ehepartnerin nachziehende Personen müssen zukünftig erst nach ihrer Ankunft einen Sprachnachweis erbringen.
- Wir werden die Familienzusammenführung zu subsidiär Geschützten mit den GFK-Flüchtlingen gleichstellen.
- Wir werden beim berechtigten Elternnachzug zu unbegleiteten Minderjährigen die minderjährigen Geschwister nicht zurücklassen.
Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten
Die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten ist und bleibt eines der umstrittensten Themen im Rahmen der Flüchtlingspolitik. Davon zeugen die zahlreichen restriktiven Gesetze der vergangenen Jahre, welche die Rechte der Geflüchteten immer weiter eingeschränkt haben. Dies war auch in den Koalitionsverhandlungen stark zu spüren und wurde in den sehr weit auseinanderliegenden Positionen deutlich. Hier haben wir sehr gerungen, haben einige Kompromisse gefunden und konnten dennoch viele dringend erforderliche Veränderungen leider nicht durchsetzen.
Im Einzelnen:
- Besonders vulnerable Gruppen wollen wir von Anfang an identifizieren und besonders unterstützen.
- Das Konzept der AnkER-Zentren wird von der Bundesregierung nicht weiterverfolgt.
- Das AsylbLG wird im Lichte der BVerfG-Rechtsprechung weiterentwickelt. Die Gesundheitsversorgung soll unbürokratischer gestaltet werden. Minderjährige werden von Leistungseinschränkungen bzw. -kürzungen ausgenommen.
Abschiebungen
Auch beim Umgang mit Abschiebungen und Abschiebehaft wurden Unterschiede in unseren Positionen deutlich. In den Sondierungen wurde festgelegt, dass sich jede Partei in dem Vertragstext wiederfinden können muss. Im Bereich der Abschiebepolitik haben wir zweifelsohne große Zugeständnisse machen müssen.
Im Einzelnen:
- Der Bund soll in Zukunft die Möglichkeit haben, einen nationalen Abschiebestopp zu verhängen, um damit vielen Menschen die Sorge vor einer Abschiebung zu nehmen.
- Es soll eine „Rückführungsoffensive“ geben, und der Bund soll die Länder bei Abschiebungen künftig stärker unterstützen sowie die staatliche Rückkehrförderung für Menschen ohne Bleiberecht finanziell besser ausstatten.
- Die freiwillige Ausreise hat stets Vorrang
- Staatliche und unabhängige Rückkehrberatung werden systematisiert und gestärkt.
- Wir betonen unsere besondere humanitäre Verantwortung und stellen klar, dass Kinder und Jugendliche grundsätzlich nicht in Abschiebehaft gehören.
Ein modernes Einwanderungsrecht
Zu einer modernen Einwanderungsgesellschaft gehört ein modernes Einwanderungsrecht, das um Talente wirbt und den Anforderungen einer globalisierten Welt gerecht wird. Gemeinsam mit den Koalitionspartnern wagen wir nun echte Innovationen im Einwanderungsrecht mit der Einführung eines Punktesystems nach kanadischem Vorbild und der Vergabe einer Talentkarte. Das Einwanderungsgesetz reformieren wir getragen von dem gemeinsamen Ziel eines in sich stimmigen, widerspruchsfreien Einwanderungsrechts, das anwenderfreundlich und systematisiert ist. Dabei ist es uns gelungen, dass wir auch um Arbeitskräfte abseits der Fachkräftedefinition werben. Es bleibt für uns wichtig, dass die Interessen der Migrant*innen, der Herkunftsstaaten aber auch Deutschlands in Einklang gebracht werden müssen. Dies kommt auch den kleinen und mittleren Unternehmen zugute, die auf die Zuwanderung von Arbeitskräften angewiesen sind.
Im Einzelnen:
- Wir werden die Visavergabe beschleunigen und digitalisieren.
- Wir stärken die Arbeitskräfteeinwanderung und führen ein Punktesystem ein, um Arbeitskräften die Jobsuche zu ermöglichen (Talentkarte).
- Gut funktionierende Konzepte der Arbeitsmigration, bspw. die Westbalkanregelung, werden entfristet.
- Die Blue Card werden wir im nationalen Recht auf nicht-akademische Berufe ausweiten und die Bildungsmigration erleichtern.
- Das Nadelöhr der Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen sowie entsprechender Arbeitserfahrungen werden wir angehen und Anpassungsqualifizierungen stärken.
- Wir stärken die zirkuläre Migration, indem zukünftig Aufenthaltsgenehmigungen nicht mehr bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten erlöschen.
Integration/Teilhabe
Unser Ziel ist es, die Teilhabe von Einwander*innen bestmöglich zu fördern. 15 Jahren nach Einführung der Integrations- und Sprachkurse unter Rot-Grün starten wir eine Integrationsoffensive, die die Bedarfe der Migrant*innen in den Mittelpunkt stellt. Da Integration eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, fördern wir Länder, Kommunen und auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen dauerhaft.
Im Einzelnen:
- Integrationskurse werden für Alle geöffnet. Die Teilnahme soll von Anfang an möglich und auf die Bedarfe der Teilnehmenden zugeschnitten sein. Wir werden die Bedingungen für Kursträger, Lehrende und Teilnehmende verbessern. Auch die Berufssprachkurse werden stärker gefördert.
- Die Migrationsberatung des Bundes werden wir ausbauen und die Migrant*innenselbstorganisationen stärker unterstützen.
- Wir schaffen ein Bundesprogramm zu Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration von Menschen aus (Süd)ost-Europa.
- Kommunen und Länder werden durch eine Verstetigung der Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten der Länder und Kommunen und durch zusätzliche Mittel, die für Integration verwendet werden, weiterhin verstärkt finanziell unterstützt.
- Menschen ohne Papiere sollen beim Arztbesuch zukünftig nicht mehr fürchten müssen, abgeschoben zu werden. Deswegen werden wir die Meldepflichten anpassen.
- Verfolgung und Flucht können schwere psychische Folgen haben. Wir wollen dafür sorgen, dass Betroffene adäquate Hilfe bekommen und stärken die psychosozialen Hilfen.
Europäische Flüchtlingspolitik/ Internationales
Unser gemeinsames Ziel ist ein solidarisches europäisches Asylsystem mit einer fairen Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeit zwischen den EU-Staaten. Die Gestaltung der EU-bzw. internationalen Flüchtlingspolitik hat jedoch während der Verhandlungen die meisten Kontroversen ausgelöst und viele Kompromisse eingefordert. Dies betrifft im Besonderen die Ausgestaltung der Migrationspartnerschaften, deren vereinbarte positive Punkte (Visa-Erleichterungen, Qualifizierungsmaßnahmen, Jobbörsen) an die Rücknahme abgelehnter Asylsuchender gekoppelt sind. Wir konnten uns leider nicht durchsetzen eine Ablehnung von Vorprüfungen an den Außengrenzen festzuschreiben, haben aber verhandeln können, dass Anträge von Schutzsuchenden an Europas Außengrenzen inhaltlich geprüft werden müssen. Somit sind weder Zurückweisungen noch Überstellungen in Drittstaaten ohne inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe möglich. Die harte Forderung unserer Koalitionspartner zur Auslagerung von Asylverfahren auf Drittstaaten konnten wir mit einem Prüfauftrag und unter der Bedingung, GFK und EMRK zu achten, abmildern.
Im Einzelnen:
- Wir werden unseren Beitrag zu einer verlässlichen Finanzierung humanitärer Organisationen leisten.
- Wir sind bereit in einer europäischen Koalition der Aufnahmebereiten voranzugehen.
- Um die Verbesserung der Bedingungen für Geflüchtete in den EU-Außengrenzstaaten anzustoßen, wollen wir mit Relocation-Programmen unterstützen. Wir wollen die illegalen Zurückweisungen an den Außengrenzen beenden.
- Wir wollen neue praxistaugliche und partnerschaftliche Vereinbarungen mit wesentlichen Herkunftsländern unter Beachtung menschenrechtlicher Standards schließen und einen Sonderbevollmächtigten einsetzen.
- Wir machen uns stark gegen die Behinderung der zivilen Seenotrettung.
- Wir streben eine staatlich koordinierte und europäisch getragene Seenotrettung an und sprechen uns für ein Weiterführen des Malta-Mechanismus aus.
- Aus Seenot Gerettete werden an sichere Orte gebracht.