Luises Rede könnt ihr im Video nachsehen:
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Freilassung der Geiseln, die Versorgung der Menschen im Gazastreifen und ein Ende der Kampfhandlungen, ein Ende des Krieges: Nichts kann man sich in diesen Tagen mehr wünschen. Das ist ein klares Gebot der Menschlichkeit, das aber – so ehrlich müssen wir sein – in immer weitere Ferne rückt. Deshalb ist es gut, dass wir heute erneut über Israel und über Palästina sprechen. Ich möchte ausdrücklich meinen Dank an Die Linke richten, diese Debattengrundlage hier heute geschaffen zu haben.
Meine Damen und Herren, mit dem menschenverachtenden Massaker am 7. Oktober hat die Hamas erneut ihren Terror über Israel gezogen und binnen weniger Stunden 1 200 Menschen getötet, 250 Menschen entführt. Die Brutalität und Menschenverachtung dieses Angriffs, des schwersten Angriffs auf jüdische Menschen seit dem Holocaust, ist für viele, mich eingeschlossen, bis heute eigentlich kaum zu fassen. Das Massaker hat eine tiefe Wunde in der israelischen Gesellschaft hinterlassen.
Und nicht zufällig richtete sich dieser Angriff gezielt gegen friedensbewegte Menschen in Israel, Menschen wie Vivian Silva, die Zeit ihres Lebens für die Versöhnung von Israelis und Palästinensern eingetreten ist und mit ihrer Friedensbewegung Women Wage Peace 45 000 Menschen in Israel hinter sich versammelt hat. Es waren diese Stimmen, ihr Engagement, das gezielt zum Schweigen gebracht werden sollte.
Und deshalb ist es so wichtig, in diesen Debatten den 7. Oktober immer wieder ins Bewusstsein zu rufen – nicht nur, um an die Grausamkeit zu erinnern, die von diesem Terror ausging und noch ausgeht, sondern auch, um daran zu erinnern, was gerade auf dem Spiel steht, welche Visionen hier gezielt zerstört werden sollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Isabel Cademartori (SPD))
Der 7. Oktober markiert auch eine Zäsur für die Menschen in den palästinensischen Gebieten und vor allem im Gazastreifen; Menschen, die eineinhalb Jahre Krieg hinter sich haben – ein Krieg, von dem wir heute sagen werden, dass er weder verhältnismäßig geführt wird noch das Völkerrecht respektiert und achtet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Seit dem 7. Oktober erleben wir immer mehr Eskalationen, eine Spirale der Gewalt, deren Leidtragende auf allen Seiten einzig und allein Zivilisten sind. Es ist die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft und auch von uns, jene zu schützen und ihre Unversehrtheit ins Zentrum zu stellen, das internationale Recht zur Anwendung zu bringen.
Denn wir müssen nüchtern festhalten, dass das Werben um die Einhaltung des Völkerrechts und die zähen Verhandlungen mit der israelischen Regierung und von anderen mit der Hamas nach wie vor nicht zu einem dauerhaften Waffenstillstand geführt haben. Im Gegenteil: Nicht nur hat sich die humanitäre Lage aufgrund der israelischen Blockade zu einer ausgewachsenen humanitären Katastrophe entwickelt, sondern es haben sich auch die politischen Umstände – und das muss man erwähnen – verändert. Deshalb verwundert es auch nicht, dass der Ton schärfer wird, dass die Kritik an der israelischen Regierung – international, hierzulande, aber auch vor Ort – wächst und dass neue Maßnahmen diskutiert werden. Es ist eine absolut berechtigte und notwendige Reaktion auf eine völlig offene Ankündigung Netanjahus, den Gazastreifen langfristig zu besetzen und Palästinenser/-innen dauerhaft zu vertreiben. Diese Ankündigung, die faktisch bereits durch Taten umgesetzt wird, ist nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. Hier kann es keine zwei Deutungen geben. Es ist ein Völkerrechtsbruch mit Ansage, dem wir uns geschlossen entgegenstellen müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Linken)
Keine Besetzung und keine Vertreibung der Menschen aus dem Gazastreifen!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, seit dem Beginn des Krieges sind in Gaza mehr als 400 humanitäre Helfer/-innen getötet worden. Über 200 Journalistinnen und Journalisten haben vor Ort ihr Leben verloren. 1 400 Menschen, die im medizinischen Bereich tätig waren, und weit über 50 000 Menschen sind in diesem Krieg gestorben. Große Teile der Zivilbevölkerung sind durch Kampfhandlungen mehrfach binnenvertrieben. Nur noch ein Drittel des Territoriums ist für die palästinensische Bevölkerung zugänglich. Gebäude und Infrastruktur sind weitgehend zerstört, das Gesundheitssystem ist kollabiert. Eine öffentliche Ordnung gibt es nicht mehr.
Und in dieser ohnehin unerträglichen Lage die Einfuhr sämtlicher humanitärer Güter zu blockieren und parallel die internationalen Organisationen quasi kaltzustellen oder mit Betätigungsverboten zu belegen, das ist einfach inakzeptabel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Hardt (CDU/CSU): Findet ja auch nicht mehr statt!)
Die Folgen sind fatal; denn die Blockade trifft auf eine Zivilgesellschaft, die anderthalb Jahre Krieg hinter sich hat, und die bereits vor dem Krieg schon auf humanitäre Hilfe angewiesen war. Deshalb kann die Reaktion auf dieses neue Verteilsystem auch keine andere sein als eine ablehnende; denn humanitäre Hilfe darf nicht militarisiert, konditionalisiert oder für politische Zwecke instrumentalisiert werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber mit all dem bricht das neue System. Deshalb muss die Bundesregierung dieses System in aller Deutlichkeit kritisieren, die israelische Regierung dazu auffordern, mit den internationalen Organisationen zu kooperieren, die Übergänge zu öffnen, die Beschränkungen für Güter fallen zu lassen und die Kampfhandlungen einzustellen, damit Menschen sicher versorgt werden können und eine Hungersnot aktiv verhindert werden kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hakan Demir (SPD))
Einen Punkt möchte ich machen: Es ist natürlich klar, dass unsere Aufmerksamkeit auf dieser humanitären Tragödie in Gaza liegt; aber wir dürfen bei all der Dringlichkeit die Lage im Westjordanland nicht aus dem Blick verlieren. Seit Monaten schreiten die De-facto-Entrechtung von Palästinenser/-innen im Westjordanland und der völkerrechtswidrige Siedlungsbau voran, ohne die nötige internationale Beachtung, und das, obwohl diese Frage aufs Engste mit der politischen Zukunft Gazas verknüpft ist. Erst vor einer Woche wurden neue Siedlungen genehmigt. Die Straflosigkeit von fast täglicher Siedlergewalt, Landnahme und Hauszerstörung ist bittere Realität für sehr viele Menschen. Ich habe in den vergangenen Monaten immer wieder zerstörte Gemeinden im Westjordanland besucht und mit eigenen Augen das Ausmaß dieser Zerstörung sehen können: ob es eine palästinensische Gemeinde ist, die in den South Hebron Hills nur noch über einen steilen Hang den Aufstieg in ihr zerstörtes Dorf schafft, weil die Straße von Siedlern blockiert wird; ob es der Bauer nördlich von Ramallah ist, der sein Vieh nachts im Flur seines Hauses einschließen muss, weil es sonst von Siedlern aus dem Outpost auf seinem Gelände geklaut oder getötet wird; oder ob es das Ehepaar in der Altstadt von Jerusalem ist, das neben den Trümmern seines Hauses jetzt nur noch in einem spärlichen Baucontainer lebt, weil die Bulldozer alles zerstört haben.
Das alles sind Existenzen, Menschen, die wegen dieser völkerrechtswidrigen Politik alles verloren haben. Die Intention ist völlig klar – ich glaube, jemand hat es vorhin auch schon gerufen; ich zitiere Verteidigungsminister Katz, der es ganz deutlich gesagt hat -: Wir werden in der Westbank den jüdischen Staat errichten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind deutliche Worte, die zum Handeln auffordern.
(Christian Görke (Die Linke): Sehr richtig!)
Die Maßnahme der Entrechtung und Destabilisierung der Menschen sowie der PA einerseits und die Blockade und die enthemmte Kriegsführung im Gazastreifen andererseits: Sie unterminieren, sie zerstören die Aussicht auf einen palästinensischen Staat und damit auch auf Frieden in der Region. Und deshalb muss die Bundesregierung weiter auf ein Ende des Siedlungsbaus drängen. Sie muss diese scharf kritisieren, aber auch darauf drängen, dass die Zoll- und Steuereinnahmen an die PA ausgezahlt werden, damit Staatlichkeit überhaupt noch funktionieren kann.
Natürlich braucht es schärfere Sanktionen, nicht nur gegen einzelne Siedler, sondern auch gegen israelische Regierungsmitglieder, Siedlerorganisationen und Unternehmen, die diesen völkerrechtswidrigen Siedlungsbau unterstützen und auf den Weg bringen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der Linken sowie bei Abgeordneten der SPD)
Was Hoffnung macht, sind die vielen Menschen, die ihr Schicksal selber in die Hand nehmen. Das sind Menschen wie Issa Amro, dem wir zuhören sollten; denn sie sind es, die jeden Tag auf brutalste Weise schikaniert und auch verletzt und bedroht werden, die sich aber widersetzen, und zwar gewaltfrei, entgegen allen Widerständen friedlich. Ich habe Issa mehrmals in Hebron besucht, und ich bin von ihm und seiner Resilienz zutiefst beeindruckt. Wir dürfen Menschen wie ihn nicht alleinlassen, gerade in dieser Zeit. Denn es sind Menschen, die gewaltfrei für ihre Rechte einstehen und das können, weil sie die Hoffnung in uns nicht verloren und nicht aufgegeben haben, die die Zukunft in dieser Region mitbestimmen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Lea Reisner (Die Linke))
Wir dürfen nicht nachlassen, die lebendige kritische Zivilgesellschaft in Israel zu stärken: durch Erwähnung, Besuche, Einladungen und auch durch politische und finanzielle Unterstützung. Deshalb ist das Vorhaben der Knesset, durch eine massive Besteuerung die deutschen politischen Stiftungen, aber auch die NGOs im Allgemeinen arbeitsunfähig zu machen, eine echte Hiobsbotschaft; denn sie wird sich nachhaltig und negativ auf die Verständigung unserer Gesellschaften auswirken. Und das müssen wir zwingend verhindern.
Ich kann nicht alle Punkte aufgreifen.
Vizepräsident Omid Nouripour:
Sie müssen zum Ende kommen, Frau Kollegin.
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident, ich komme sofort zum Schluss. – Ich freue mich aber auf die Beratungen im Ausschuss. Sie haben viele wesentliche Punkte in Ihrem Antrag genannt. Lassen Sie mich abschließend sagen: Wir alle wissen, dass die Freiheit und Sicherheit des einen die des anderen bedingt.
Vizepräsident Omid Nouripour:
Herzlichen Dank.
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das Ziel muss die Zweistaatenlösung sein.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)