Luises Rede zur Aktuelle Stunde zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren

Luises Rede zur Aktuellen Stunde zu den Vorwürfen des Innenministers Thomas de Maizière gegenüber der Ärzteschaft kann hier nachgeschaut werden.

Die Rede im Wortlaut im Folgenden:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister, das Bedauerliche und Traurige an dieser Debatte ist, dass sie sich an eine Grup­pe richtet bzw.dass eine Gruppe Vorwürfe aushalten muss, die sich gerade im vergangenen Jahr an so vielen Stellen ehrenamtlich eingebracht hat, die Überstunden in der eigenen Praxis geschoben hat, die am Nachmittag nach der eigenen Schicht in die Flüchtlingsheime gegan­gen ist und die Menschen versorgt hat, die auf andere Art und Weise sonst durch das Raster gefallen wären.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist das wirklich Bedauerliche an dieser Debatte: dass Sie nicht nur die Ärzteschaft verprellen, sondern auch diejenigen füttern, die am liebsten das ganze Grund­recht auf Asyl abschaffen wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb war es richtig, diese Aktuelle Stunde zu diesem Verhalten und zu dieser Art der Kommunika­tion jetzt endlich durchzuführen und die größtmögliche Öffentlichkeit dafür zu schaffen, dass die genannte Zahl nicht belastbar ist, sondern auf einem Erfahrungswert, der nur vom Hörensagen bekannt ist, basiert und dass es hierfür keinerlei Quellen gibt.

Aber es ist wirklich nicht von der Hand zu weisen, dass das Methode hat; das haben wir in der Vergangen­heit gelernt. Es ist wirklich bedauerlich, dass wir, statt uns hier unseren eigentlichen Aufgaben zuzuwenden, im­mer wieder mit diesen Fragen und Richtigstellungen be­schäftigt sind. Als Sie behauptet haben, dass 30 Prozent der Flüchtlinge Passfälscher sind, war es die Opposition, die aufgeklärt hat, dass es sich um lediglich 116 nach­weisliche Fälle handelte. Eine Million Flüchtlinge, 116 Fäl­le: Ich bin nicht gut in Mathe; aber ich weiß, dass das keine 70 Prozent sind. Ich kann nur sagen: Es ist gut, dass es die Opposition gibt, dass sie den Finger in die Wunde legt, genau da nachfragt und die Zahlen richtigstellt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Aber – da spreche ich sicher auch für meine Kollegin­nen und Kollegen von den Linken – wir haben eigent­lich Besseres zu tun. Wir haben eigentlich die Aufgabe, gemeinsam in diesem Parlament daran zu arbeiten, eine Stimmung und ein Klima zu erzeugen, die den Menschen da draußen die Sicherheit geben, dass wir mit dieser Si­tuation, mit vielen Flüchtlingen in Deutschland, adäquat umgehen, niemanden auf der Strecke lassen und uns um diese Menschen kümmern.

Anfang letzter Woche hat das BMI bzw. haben Sie, Herr Innenminister, beklagt, dass es bei Abschiebungen immer wieder zu Protesten aus der Bevölkerung kommt, und darauf hingewiesen, dass es für ein Bleiberecht eben nicht ausreicht, wenn man als Flüchtlingskind der bes­te Torschütze im dörflichen Fußballverein ist oder wenn eine Familie das Nachbarschaftsleben mit bereichert. Das reicht für ein Bleiberecht, sagen Sie, nicht aus. Ja, da haben Sie recht. Juristisch ist das sicher nicht aus­reichend; menschlich aber ist es das. Das ist genau der Punkt, der mir an dieser ganzen Debatte missfällt: Worte des Dankes an die Menschen, die mit Flüchtlingen arbei­ten, die sich um Flüchtlinge kümmern, zu adressieren, ist auch die Aufgabe eines Innenministers, und der werden Sie nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich finde das wirklich in vielerlei Hinsicht erstaunlich. Denn Sie sollten eigentlich dankbar sein für die vielen Menschen, die diese Emotionen aufbringen, die an den Menschen, die um sie herum leben, Anteil haben, die sich einbringen, sich ehrenamtlich engagieren. Denn, Herr Innenminister, ohne diese vielen ehrenamtlichen Ärz­te, Lehrer und Sozialarbeiter sähe Ihre Bilanz, sähe die Bilanz des Innenministeriums bei der Bewältigung der Aufgaben in der Flüchtlingspolitik noch katastrophaler aus. Wir können froh sein, dass es diese Menschen gibt und dass sie vieles von dem kompensiert haben, was wir nicht schaffen konnten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg.Dr. Lars Castellucci [SPD])

Ein Gutes hat es, dass wir uns über dieses Thema un­terhalten – das muss man hinzufügen –: Wir schaffen nämlich ein Bewusstsein für ein ziemlich wichtiges The­ma, und zwar dafür, dass in Zeiten einer immer restrik­tiver werdenden Asylpolitik ärztlichen Attesten, Ärzten und der Fachmeinung von Ärzten eine größere und be­sondere Bedeutung zukommt. Das ist auch gut so. In Zei­ten wie diesen können ärztliche Atteste eine behördliche Entscheidung korrigieren.

Im Übrigen kennen wir das hier im Parlament sehr, sehr gut. Wir hatten im Petitionsausschuss vor kurzem einen Dublin-Fall einer schwerbehinderten, pflegebe­dürftigen jesidischen Irakerin, die trotz Vorliegens eines ärztlichen Gutachtens, das besagt hat, dass sie nicht rei­sen kann, nach Schweden zurücküberstellt werden sollte. Es war der Staatssekretär Ihres Hauses, Ole Schröder, der dann im Gespräch mit uns davon abgesehen und das Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik erklärt hat. Die Frau ist inzwischen operiert, sie lebt mit ihrer Familie in Bayern und wird dort gepflegt. Also, auch wir korrigie­ren hier behördliche Entscheidungen und gehen andere Wege. Es ist auch gut so, dass mehrere Menschen drauf­gucken; denn die Situation ist angespannt. Wir müssen alle Kräfte, die da sind, um menschenwürdig und nach menschenrechtlichen Maßstäben zu entscheiden, nutzen und in Anspruch nehmen. Daraus einen Vorwurf an die Ärzte zu formulieren, ist infam.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Viele Flüchtlinge leiden unter schweren Erkrankungen, nach­vollziehbarerweise oft aufgrund der Geschehnisse im Heimatland, aber eben auch aufgrund ihrer Flucht hier­her. Auch die Flucht ist eine enorme Belastung für viele Menschen. Diesen Belastungen und dem Erkennen einer Posttraumatischen Belastungsstörung wird im Asylver­fahren viel zu wenig Raum gegeben. Das ist ein Pro­blem. Genau darüber sollten wir uns unterhalten, damit nicht am Ende Ärzte dies korrigieren und die Freiräume schaffen müssen, die wir im Vorfeld gesetzlich nicht er­möglicht haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist im Übrigen auch der Grund dafür, dass es so vie­le Atteste gibt: dass die Menschen, die hierherkommen, diese Umstände und die Brutalität von Krieg und Gewalt erlebt haben.

Herr Innenminister, Sie haben mit Ihrer in den Raum geworfenen Zahl nicht nur den Ärztinnen und Ärzten in Deutschland Fehlverhalten unterstellt, sondern auch die Glaubwürdigkeit – das finde ich als Parlamentarierin be­sonders erwähnenswert und auch traurig –, die ein In­nenminister qua Amt hat, benutzt, um mit ausgedachten Zahlen Stimmung zu machen. Ich finde, das ist massiv befremdlich und eigentlich nicht anders als mit „Miss­brauch“ zu bezeichnen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS­SES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb erwarte ich nicht nur gegenüber dem Parlament eine Entschuldigung, sondern vor allen Dingen auch ge­genüber denjenigen, gegen die sich dieser Vorwurf ge­richtet hat, der nicht gerechtfertigt ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg.Rüdiger Veit [SPD])