Luise und Konstantin zur Brexit-Sondersitzung des Bundestages

Zur Brexit Sondersitzung des Deutschen Bundestages erklären Luise und ihr schleswig-holsteinischer Kollege, Konstantin von Notz:

Die Gründe für den Ausgang des Referendums sind vielfältig. Es wäre eindimensional die „Schuld“ am BREXIT allein in der Europäischen Union zu suchen oder sie ihr zuzuschieben. Viele der Befürworter des Brexit, wie zum Beispiel Boris Johnson, waren zweifellos von eigenen, innerparteilichen Karriereabwägungen getrieben. Die Argumentation der Brexitears war und ist in übergroßem Maße nationalistisch und demokratierelativistisch geprägt (Austritt aus der EU „to put Britain on the map again“). Auch hat die britische Entscheidung über den Austritt eine starke innenpolitische Dimension. Diese beginnt bereits damit, dass Premierminister David Cameron aus rein opportunistischen Gründen und in innenpolitisch denkbar schwierigsten Zeiten ein Referendum hat durchführen lassen und dieses dann nur halbherzig begleitet hat.

Die kaltherzige und vor allem wirtschaftlich getriebene Kommunikation der SPD zum BREXIT löst großes Befremden bei uns aus, denn sie dient allein dem innenpolitischen Zwecke, sich von der Kanzlerin abzuheben. So positiv die klaren Worte der Kanzlerin auch waren, ist uns wichtig, die Bedeutung des Friedensprojekts Europa und die damit verbundenen Werte noch sehr viel stärker in den Vordergrund zu stellen und eine emotionale Verbundenheit mit Europa zu stärken. Nach dem Motto „Jetzt erst Recht“ darf man unserer Auffassung nach jetzt nicht rachsüchtig mit den Briten umgehen, sondern muss die Debatte führen, warum es sich gerade jetzt lohnt zusammenzustehen und nicht erneut in nationalstaatliche Kleingeisterei zu verfallen. Die Debatte muss deshalb stark werteorientiert geführt werden und eben längst nicht nur wirtschaftlich.

Längst sind die Rechtspopulisten, die Le Pens, die Wilders und die von Storchs dabei, die jüngste BREXIT-Entscheidung für ihre kleingeistige Politik zu instrumentalisieren, ein „Zurück auf die nationale Scholle“ und weitere Abstimmungen über den Verbleib einzelner Mitgliedsstaaten in der EU zu fordern. Präsentiert werden erneut billigste Erklärungsmuster für vielfältig gelagerte Probleme in den jeweiligen Ländern, für die erneut „die in Brüssel“ verantwortlich gemacht werden. Sich diesen Populisten entschlossen und solidarisch entgegen zu stellen und für das Friedensprojekt EU zu kämpfen wird zweifellos eine zentrale Aufgabe von uns Grünen in den nächsten Wochen und Monaten sein. Hier werden wir uns stellen!

Wie geht es nun weiter? Da das Referendumsergebnis für die britische Regierung NICHT rechtsverbindlich ist, braucht es zunächst einmal einen formalen innerstaatlichen Prozess zur Umsetzung des Referendums, unter anderem durch Beteiligung des britischen Parlaments. Es ist zwar klar, dass der Austrittsprozess nicht zu einer Hängepartie werden darf und fair und zügig vonstattengehen soll, Artikel 50 des EU-Vertrages macht aber klar, dass der Mitgliedsstaat seine Austrittsabsicht dem Europäischen Rat mitteilt und rechtlich nicht erzwungen werden kann. Vor dem Hintergrund der Absicht von Premier Cameron, zurückzutreten, ist absehbar, dass ein förmlicher Austrittsprozess erst ab Oktober 2016 zu erwarten ist. Ist das Austrittsgesuch förmlich, beginnen die Verhandlungen über das Austrittsabkommen, die binnen zweier Jahre abgeschlossen sein müssen.

Uns sind in diesem Zusammenhang zwei Dinge wichtig: Es kann und muss darauf hingewirkt werden, dass Großbritannien einen Fahrplan zum Austrittsprozesses vorlegt. Und wichtiger noch: Bis zum förmlichen Austrittsantrag darf es nicht zu Vorverhandlungen, weder öffentlich noch informell, kommen. Zu groß ist unsere Sorge, dass Großbritannien einen möglichen Nicht-Austritt als Verhandlungsmasse nimmt und am Ende die Vorzüge und Errungenschaften der Europäischen Union für die verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten dauerhaft in Frage stellt. An der Stelle sind wir mit der Kanzlerin einer Meinung: Es muss einen Unterschied machen, ob man Teil der Europäischen Union ist oder nicht. Wer die Vorzüge Europas in Anspruch nimmt, muss auch die Grundfreiheiten für die Bürgerinnen und Bürger gewährleisten.

Der Umstand jedoch, dass Dreiviertel derjenigen, die für einen Verbleib in der EU gestimmt haben, unter 40 Jahre alt war, ist vor allem entscheidend für die Frage nach weiteren Kooperationen zwischen der EU und Großbritannien. Wir sind der Auffassung, dass man im Wissenschafts- und Bildungsbereich weiterhin enge Kooperationen anstreben und die überwiegend pro-europäische Jugend auch nach einem Austritt stark an Europa binden muss. Die Analyse, bei dem Referendum hätte es sich auch um eine Abstimmung „Jung gegen Alt“ gehandelt, teilen wir nicht bedingungslos, da die Beteiligung an dem Referendum bei den jüngeren Briten deutlich geringer war und letztendlich auch hier der alte Spruch gilt: „Decisions are made by those who show up“. Auch die Frage, wie es gelingt, junge Menschen wieder an die Wahlurne zu bringen, ihnen zu zeigen, dass es sich lohnt, sich für die (europäische) Demokratie einzusetzen, wird, auch das hat die jüngste BREXIT-Entscheidung gezeigt, eine zentrale Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten bleiben.

Immer wieder erleben wir auch in unserem Parlament, dass Europa, dass die EU, nationalstaatlichen Interessen weichen muss. Aus der täglichen Arbeit als Mitglieder im Innenausschuss, der für die EU-rechtlichen Angelegenheiten maßgeblich mit zuständig ist, können wir nur bestätigen, dass die europäische Integration schon dort ihre erste Delle erhält, wo EU-Vorgaben ignoriert und nicht ins nationale Recht umgesetzt werden. Auch hier gilt es künftig, der Bundesregierung, allen voran der CSU, deren Vertreterinnen und Vertreter immer wieder durch antieuropäische Stimmungsmache, mit Klagen gegen EU-Institutionen und ihre Entscheidungen und Treffen mit erklärten „EU-Skeptikern“ wie Orban Ressentiments schüren, den Spiegel vorzuhalten und die Erwartungshaltung an andere Länder mit dem eigenen Handeln in Einklang zu bringen.

Die vollständige Debatte im Bundestag kann hier nachgeschaut werden.

Luise und Konstantin