Input zum Einwanderungsgesetz beim Institut für Wirtschaft Köln und der Heinrich-Böll-Stiftung

 „Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsmigration steht Deutschland vor einer auch im historischen Vergleich großen Herausforderung. Langfristig wird sich die Situation nur erfolgreich bewältigen lassen, wenn über Bildung und Ausbildung die soziale und politische Teilhabe von Geflüchteten und Zugewanderten ermöglicht wird und für Zuwanderung und Asyl klare Regeln formuliert werden. Hierzu bedarf es großer Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Zu den zentralen Themen gehören dabei die Bildungsintegration und die Frage nach einem Einwanderungsgesetz.“

Unter dem Titel „Einwanderungsgesellschaft als Gestaltungsaufgabe“ haben das Institut für Wirtschaft Köln und die Heinrich-Böll-Stiftung Luise zu einem Input eingeladen.

Die Zusammenfassung von Luises Statement könnt Ihr im Folgenden lesen:

Ob Ärztin, Altenpflegerin, Imbissbudenbesitzer oder Ingenieur – ob wir sie aus der Schule, von der Arbeit, als Nachbar oder aus dem Sportverein kennen: Wir alle haben Menschen in unserem Umfeld, die selber oder deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden. Sie zeigen uns: Ohne Einwanderung stünde Deutschland heute wirtschaftlich und kulturell um einiges ärmer da. Verbessert Deutschland seine Einwanderungsbedingungen nicht, wird es die Herausforderungen des demografischen Wandels und Fachkräftemangels kaum lösen können.

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind alarmierend. Und doch scheint sich nichts zu tun. Bis 2050 wird die Bevölkerung in Deutschland um sieben Millionen Menschen auf insgesamt 75 Millionen Menschen schrumpfen. Da wir gleichzeitig eine immer höhere Lebenserwartung haben und weniger Kinder bekommen, altert unsere Gesellschaft.

Mögliche Auswirkungen lassen sich schon heute beobachten: Die realen Renten sinken langfristig (trotz der Erhöhung zum 1.7.2016), da immer weniger Beitragszahler*innen auf immer mehr Rentner*innen kommen. Dörfer, Wohngebiete und ganze Städte leiden darunter, dass mehr junge Menschen wegziehen als neu geboren werden. Dazu beklagen sich viele Unternehmen über Fachkräftemangel. Es gibt in Deutschland einen Fachkräftebedarf von circa 300.000 Menschen pro Jahr, der derzeit nicht abgedeckt wird. Mehr Einwanderung ist für diese Herausforderungen nicht das alleinige Allheilmittel, sie kann aber einen sehr wichtigen Beitrag leisten.

Aktuell regelt das Aufenthaltsgesetz, das auf dem Zuwanderungsgesetz von 2005 basiert, wer unter welchen Bedingungen nach Deutschland zuwandern darf. Die Voraussetzungen sind eng umrissen. Neben einzelnen Ausnahmen können dabei folgende Gruppen eine Aufenthaltserlaubnis bekommen:

  • Hochqualifizierte, die bereits eine Arbeitsstelle mit Mindesteinkommen haben;
  • Qualifizierte Arbeitskräfte, die eine Arbeitsstelle haben, auf die sich niemand aus Deutschland oder der EU beworben hat („Vorrangprüfung“);
  • Selbständige, die genügend investieren und eine tragfähige Geschäftsidee nachweisen;
  • Familienangehörige von bereits in Deutschland Lebenden und über einen Aufenthaltsstatus verfügen;
  • Asylbewerber, die vor Verfolgung in ihrem Heimatland flüchten und hier Schutz suchen.

In unserem Antrag „Für ein modernes Einwanderungsgesetz“ fordern wir die Bundesregierung auf, den Entwurf für ein Einwanderungsgesetz vorzulegen. Und wir schlagen einige Eckpunkte vor, die unseres Erachtens bei der Ausarbeitung eines solchen Gesetzes berücksichtigt werden sollten.

  1. Wir setzen uns für ein neues Einwanderungsgesetz ein, dass mehr Menschen die Möglichkeit gibt einzuwandern, bürokratische Hürden abbaut und Einwanderern in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Das gegenwärtige Recht ist kompliziert und unübersichtlich. Bevor Menschen ihre Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis bekommen, vergehen oft Monate, in denen sie sich langwierigen bürokratischen Verwaltungsabläufen ausgesetzt sehen. Das kann nicht der Anspruch eines modernen Einwanderungslandes sein.
  2. So sollen zum Beispiel die Vorschriften zur Arbeitsmigration systematisiert, liberalisiert und unbürokratisch ausgestaltet werden. Wenn schon die Bundesagentur für Arbeit fast 40 Seiten Text benötigt, um das gegenwärtige unübersichtliche System der Fachkräfte-Einwanderung darzustellen, wer soll denn da als „normaler Mensch“ noch durchsteigen? Da wundert es nicht, dass es de facto keine Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland gibt. Eine Kleine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion zu „Fachkräftezuwanderung nach Deutschland“ im vergangenen Jahr zeigte deutlich: In den ganz überwiegenden Fällen werden Aufenthaltserlaubnisse, die für die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland konzipiert wurden, lediglich an Menschen erteilt, die schon längst in Deutschland leben.
  3. Wir empfehlen zudem, das bisherige Modell der Arbeitskräfteeinwanderung durch ein kriteriengesteuertes System zu ergänzen. Denn die bisherigen Vorschriften sind erkennbar unzureichend, wenn es darum geht, den demografischen Alterungsprozess unserer Gesellschaft durch Einwanderung abzumildern.
  4. Wir wollen die internationale Mobilität von Einwander*innen fördern – in Zeiten der Globalisierung eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
  5. Auch wollen wir die Potenziale von Menschen besser fördern, die sich bereits im Inland befinden. Sofern sie die Einwanderungskriterien erfüllen, sollen insbesondere Studierende, Auszubildende, Asylbewerber*innen und Geduldete ihren aufenthaltsrechtlichen Status unkompliziert wechseln können.
  6. Wir wollen grund- und menschenrechtliche Schutzstandards erhöhen, zum Beispiel beim Familiennachzug oder durch den Ausbau des Geburtsrechts im Staatsangehörigkeitsrecht.
  7. Und schließlich meinen wir, dass die Integrations- und Teilhabemöglichkeiten ausgebaut werden sollten: mehr Sprachkurse und Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung beziehungsweise zur Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse; diskriminierungsfreier Zugang zu guter Bildung; besserer Schutz vor Ausgrenzung; Erweiterung politischer Teilhabemöglichkeiten, generelle Zulassung von Mehrstaatigkeit.

 

Zur Erarbeitung eines Kriterien-gesteuerten Einwanderungsmodells schlagen wir die Einrichtung einer Kommission vor, die aus Sachverständigen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gewerkschaften, Verwaltung, gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere auch aus Migrantenorganisationen – aber auch aus den Fraktionen des Deutschen Bundestags – zusammengesetzt werden soll. Eine solche Kommission kann auch eine wichtige Rolle dabei spielen, den von uns angestrebte gesellschaftlichen Konsens über den Sinn und die Ausgestaltung eines Einwanderungsgesetzes vorzubereiten.

Noch zwei grundsätzliche Aspekte bei der Ausgestaltung eines Einwanderungsgesetzes:

  1. Die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland darf nicht als ein Gegensatz zur Förderung des einheimischen Arbeitskräftepotentials behandelt werden. Das einheimische Potential zu erschließen und zu fördern, ist ein Gebot des individuellen Anspruchs auf Teilhabe aller in Deutschland lebenden Menschen. Gleichzeitig gilt es, die Chancen von Migration auszuloten und zu nutzen: Der gezielte Einsatz von Zuwanderung hat erfahrungsgemäß keine negativen, sondern positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
  2. Flüchtlingsschutz, humanitäre Aufnahme und Arbeitsmigration stehen in Beziehung zueinander, dürfen aber nicht vermischt werden. Auch im Kontext der Aufnahme von Flüchtlingen gibt es immer wieder das Missverständnis, dass die „Geeignetsten“ aufgenommen werden sollten (Dies praktiziert offenbar grade die Türkei bei der Auswahl syrischer Flüchtlinge, die von den EU-Mitgliedstaaten aufgenommen werden sollen). Die Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen ist aber humanitär begründet. Flüchtlingsschutz ist nicht disponibel. Das Grundgesetz und internationale Verpflichtungen setzen Standards im Flüchtlingsschutz, die Deutschland in seiner Migrationspolitik binden. Es gilt, das Refoulement-Verbot zu achten und Flüchtlingen ein angemessenes Verfahren und Schutz zu garantieren.

Ein kriteriengesteuertes Einwanderungsmodell soll sich nicht allein an formalen Berufsqualifikationen orientieren, sondern muss tatsächliche Fähigkeiten und Erfahrungen sowie soziale Kompetenzen berücksichtigen und diskriminierungsfrei ausgestaltet werden. Über eine Verknüpfung der Variablen „Berufsqualifikation“ und „Herkunftsland“ kann das Recht der Herkunftsländer auf Wahrung ihrer Entwicklungschancen berücksichtigt werden, indem vermieden wird, dass durch eine aktive Einwanderungspolitik – ohne Rücksicht auf das Gebot der Nachhaltigkeit – Fachkräfte aus Entwicklungsländern massiv abgeworben werden.

Den Belangen der Herkunftsländer kann auch dadurch Rechnung getragen werden, dass die freiwillige Weiterwanderung, Rückkehr und Wiederkehr nach Deutschland erleichtert wird, beispielsweise dadurch, dass einmal erlangte aufenthaltsrechtliche Rechtspositionen auch bei längeren Aufenthalten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht verloren gehen. So können Fachkräfte, die nach Deutschland kommen, einen Beitrag zur hiesigen Gesellschaft und Wirtschaft leisten, aber zugleich Erfahrungen sammeln, die sie nach einer gewissen Zeit an anderer Stelle – etwa auch im Herkunftsland – wieder einbringen können. Visumsverfahren müssen vereinfacht und beschleunigt werden.

Weil hier gesamtgesellschaftliche Anliegen verhandelt und operationalisiert werden sollen, ist es notwendig, dass über die Einführung und Umsetzung eines kriteriengesteuerten Einwanderungsmodells nicht allein die Exekutive (Regierung und Verwaltung) entscheidet, sondern dass dies in einem transparenten Verfahren in Bundestag und Bundesrat offen diskutiert und entschieden wird.

Dabei dürfen arbeitsmarktpolitische Interessen nicht gegen das Gebot des Flüchtlingsschutzes und die Einhaltung humanitärer Verpflichtungen ausgespielt werden. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen dürfen wirtschaftliche Gesichtspunkte keine Rolle spielen. Dies schließt aber nicht aus, dass die gesellschaftliche, berufliche und wirtschaftliche Integration von Asylsuchenden und Geduldeten ermöglicht und vereinfacht wird. Es liegt gleichermaßen im Interesse der Asylsuchenden und Geduldeten wie der Gesamtgesellschaft, ihren Zugang zum Arbeitsmarkt zu erweitern. Auch die Ermöglichung eines aufenthaltsrechtlichen Statuswechsels in den Fällen, in denen die Voraussetzungen für die Erteilung anderer Aufenthaltstitel erfüllt sind, liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse, da auf diese Weise die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt reibungsloser gelingen kann. Dies gilt für alle Menschen, denen der Statuswechsel bislang verwehrt oder nur schwer möglich ist, so Studierende, Auszubildende, Asylsuchende und Geduldete. Dabei muss gewährleistet werden, dass ein Statuswechsel nicht zur Beeinträchtigung des Schutzes führt, auf den etwa Flüchtlinge Anspruch haben. Nicht abgeschlossene Asylverfahren sollen daher während der Geltungsdauer eines Aufenthaltstitels, der aufgrund eines Statuswechsels erteilt wird, ruhen und uneingeschränkt weitergeführt werden können, falls die Voraussetzungen des anderen Aufenthaltstitels wegfallen.

Die Integration in den Arbeitsmarkt sollte durch die Vereinfachung der Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse und die Beschleunigung der Anerkennungsverfahren sowie den Ausbau von Angeboten der Qualifizierung und Weiterbildung erleichtert werden. Die Anerkennungsbehörden sollten personell besser ausgestattet und die Gebühren für Anerkennungsverfahren sozialverträglich reduziert und bundesweit vereinheitlicht werden.

Stipendienprogramme für internationale Studierende und Nachwuchswissenschaftler*innen sollten ausgeweitet und die Rechtssicherheit für internationale Studierende beim Zugang zu Hochschulen hierzulande erhöht werden.

Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Menschen mit Migrationsgeschichte insbesondere bei Ausbildung und Berufszugang sollten intensiviert werden.