Luise sprach für die Fraktion Bündnis 90/Grüne in der aktuellen Stunde am 22.04.2015 zum Thema „Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer“ (gesamte Rede hier im Plenarprotokoll zum Nachlesen). Hier können Sie unseren Antrag zur Seenotrettung nachlesen.
Luises Rede im Wortlaut:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister, es ist etwa ein halbes Jahr her, da haben Sie das Ende der Seenotrettungsoperation „Mare Nostrum“ mit den Worten begleitet, dass das, was „als Nothilfe gedacht war“, sich „als Brücke nach Europa erwiesen“ habe. Die Bundesregierung hat Italien damals klargemacht, dass diese Brücke in die Europäische Union für Schutzsuchende nicht gewünscht ist und geschlossen werden muss. Ja, Herr de Maizière, „Mare Nostrum“ war eine Brücke, eine, die vor Ertrinken gerettet hat. Deswegen war „Mare Nostrum“ ein Menschenrechtsprojekt, das bis heute seinesgleichen sucht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Auch in dieser Legislatur haben wir, die Opposition, die entsprechenden Themen immer wieder gemeinsam auf die Tagesordnung gehoben. Wir haben gemeinsam parlamentarische Reisen an die Grenzen und in die Krisenregionen gemacht, haben hier und vor Ort mit Flüchtlingen gesprochen, haben Frontex angehört und Grenzzäune gesehen. Dennoch sind wir seit Lampedusa über das parlamentarische Bedauern nie hinausgekommen.
Herr Innenminister, Sie sagen, die Debatte war leidenschaftlich; Sie haben sie auch als ideologisch kritisiert. Ich frage mich wirklich: Wen wundert es eigentlich? Gerade eben haben Sie noch gesagt, „Triton“ ersetze „Mare Nostrum“ und könne vom finanziellen Aufwand her, aber auch logistisch mithalten. „Triton“ patrouilliert aber nur innerhalb der 30-Meilen-Zone, mit acht Booten und zwei Flugzeugen. Deutschland unterstützt das Ganze mit einem Rettungshubschrauber, der noch nicht einmal angekommen ist. Wir können doch nicht ernsthaft sagen, dass das gleichzusetzen ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Christoph Strässer (SPD))
Ich sage auch ganz deutlich: Es geht einfach nicht, immer wieder das Argument vorzutragen – eine verquere Sicht -, dass die Seenotrettung einen Anreiz darstellt, aber das Fehlen legaler Einreisewege nicht als Teil des Problems zu betrachten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Christoph Strässer (SPD))
Die Menschen, die fliehen, die fliehen müssen, würden bestimmt lieber auf sicherem Wege nach Europa kommen; sie suchen es sich nicht aus, so zu kommen. Wenn es legale Wege in die EU gibt, steigen Flüchtlinge nicht in seeuntaugliche Boote. Wenn sie nicht mehr in seeuntaugliche Boote steigen, haben die Schlepper keine Geschäftsgrundlage mehr. Wenn Sie mir so weit folgen können, dann wissen Sie eigentlich auch, was der nächste Schritt sein muss: die Schaffung legaler Zugangswege.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Wenn Sie das nicht überzeugt, dann sei an dieser Stelle vielleicht darauf hingewiesen, dass der überwiegende Teil der Schutzsuchenden, die zu uns kommen, aus Herkunftsländern mit einer sehr hohen Asylanerkennungsquote stammen: 80 Prozent der Syrer, 60 Prozent der Eritreer werden als Asylberechtigte anerkannt. Schon allein deshalb sind wir zur Hilfe verpflichtet und müssen ihnen diese Wege aufzeigen. Aber genau das wurde in dem am Montag vorgestellten Zehn-Punkte-Plan bedauerlicherweise vergessen: Kein einziges Wort über legale Zugangswege.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich sage das, weil das Rad nicht neu erfunden werden muss. Legale Einreisewege gibt es bereits zuhauf. Morgen beraten wir einen Antrag der Grünen zur weiteren Aufstockung des Syrien-Kontingentes. Das ist ein legaler Weg. Wir wollen mehr Personal in den Botschaften, damit Familienzusammenführungen verbessert werden. Auch das ist ein legaler Weg der Zuwanderung. Außerdem wollen wir ein höheres Resettlement-Kontingent. Auch das ist ein legaler Weg, der – das stimmt – in dem Zehn-Punkte-Programm erwähnt worden ist. Aber wie kann es sein, dass sich die gesamte EU auf die Aufnahme von gerade einmal 5 000 Resettlement-Flüchtlingen verständigt?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und der Abg. Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) ‑ Rüdiger Veit (SPD): Sehr richtig!)
Hier wäre ein Machtwort unserer Bundeskanzlerin in Richtung der anderen Mitgliedstaaten gefragt. Ich hoffe, dass das morgen in Brüssel passieren wird.
Ein weiteres bedauerliches Ergebnis ist, dass „Triton“ mehr Geld bekommen soll. Wer glaubt, dass das der Seenotrettung dient, der ist echt auf dem Holzweg; denn „Triton“ ist eine Mission von Frontex, unserer Grenzschutzagentur. Die EU-Außenbeauftragte Mogherini hat gesagt, dass es nicht primäres Ziel dieser Mission sei, Menschenleben zu retten.
Was wir wollen, ist eine zivile Seenotrettung, eine Mission, die ganz klar nur dieses Mandat hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Eine Sache vielleicht noch, weil diese Debatte natürlich nicht ohne das Schlagwort „Fluchtursachen bekämpfen“ auskommt. Ich finde das auch richtig. Unser Anspruch muss sein, die Situation vor Ort – da, wo es uns möglich ist – zu ändern. Wir müssen darüber beraten, wie wir eine Verbesserung der Situation in den Transitstaaten erreichen können. Aber das sind natürlich Maßnahmen, die in weiter Ferne liegen. Deshalb sage ich: Eine Debatte über Aufnahmezentren und die Externalisierung der Asylverfahren stellt sich derzeit überhaupt nicht, weil die Sicherheitslage beispielsweise in Libyen das nicht zulässt.
Ich möchte daran erinnern: Es gab vor kurzem eine EU-Mission, bei der es darum ging, Libyen bei der Sicherung seiner Grenzen zu unterstützen; die Europa- und Außenpolitiker werden sie kennen: EUBAM. Sie kann derzeit aber nicht mehr operieren, weil die Sicherheitslage vor Ort derart dramatisch ist. Mittlerweile soll sie irgendwo in Tunesien tätig sein, aber eigentlich arbeitet sie gar nicht mehr.
Zu den Herkunftsländern. Wir haben im Rahmen einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung zu Eritrea befragt: Was heißt es eigentlich, die Lage vor Ort zu verbessern? Wissen Sie, was das Auswärtige Amt uns auf diese Frage geantwortet hat? Die Bekämpfung der Fluchtursachen liege primär in Eritreas Verantwortung. ‑ So macht man keine Flüchtlingspolitik, und so wird man die Situation vor Ort auch nicht ändern.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)