Innenausschussreise nach Bulgarien und Rumänien

Immer wieder sterben Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Diejenigen, die Glück haben, schaffen es, meist auf seeuntauglichen Booten über die europäischen Außengrenzen. Sie wissen um die Gefahren, die sie erwarten und dass die Reise ihnen das Leben kosten kann. Trotzdem brechen sie auf.

Die durch die Medien in Öffentlichkeit getragenen Schicksale von Hunderten von Menschen, die vergangenen Herbst ihr Leben auf dem Mittelmeer verloren haben, haben europaweit Trauer- und Schambekundungen ausgelöst. Zu einem Wandel in der europäischen Flüchtlingspolitik haben sie nicht geführt.

Europa baut seinen Konsens unter den Mitgliedsstaaten auf das Fundament der Menschenrechte. Ein Friedensprojekt, das auf der anderen Seite militärisch hochrüstet, überwacht, die Verantwortung für seine Grenzpolitik auf andere Kontinente verlagert, Zäune und Mauern baut.

Flüchtlinge haben kaum eine Möglichkeit legal und sicher in die EU einzureisen.

Die Flüchtlingsströme in die Nachbarländer Syriens zeigen das Ausmaß des Bürgerkrieges. Die Bevölkerung des Libanons besteht mittlerweile zu einem Viertel aus syrischen Flüchtlingen. In der Türkei sind mittlerweile mehr als 1 Millionen syrische Flüchtlinge angekommen. Viele von ihnen sind auf dem Weg nach Europa, weil sie Familie dort haben oder sich ein Leben in Demokratie und Sicherheit wünschen.

Der eine Weg führt sie über das Mittelmeer, ein anderer über die bulgarisch-türkische Grenze.

Mit einer Delegation des Innenausschusses bin ich nach Bulgarien gereist, um mir ein Bild von der europäischen Grenzpolitik zu machen. Unser Weg führt uns nach Elchovo und zum bulg.-türk. Grenzübergang in Lessovo. Hier zeigt sich das Ausmaß europäischer Grenzpolitik.

In Elchovo führen die Bulgaren ein Frontex-Pilotprojekt durch: es nennt sich „integriertes Überwachungssystem“ und gewährleistet mit Flugzeugen und Wärmebildkameras eine 100%ige visuelle technische Überwachung der gesamten türkisch-bulgarischen Grenze. Ich traue meinen Augen kaum, als ich auf die Bildschirme im Kontrollzentrum blicke: die Überwachung ist millimetergenau, man kann die Gesichter der patrouillierenden Grenzbeamten erkennen.

Aus Angst vor einer Flüchtlingswelle hat die bulgarische Regierung zusätzlich begonnen, einen Zaun in Länge von 32 km zu bauen. Dreifach gewickelter Nato-Stacheldraht hebt sich aus der Landschaft. 1.500 Grenzschützer werden entlang der bulgarisch-türkischen Grenze eingesetzt.

Europa hat viel dafür getan, Grenzen und Mauern einzureißen, es ist zynisch zu sehen, mit was für eine Akribie die europäischen Staaten sich nun nach Außen abschotten.

Im Gespräch mit bulgarischen Behörden höre ich immer wieder die Beteuerung, dass Bulgarien alles dafür täte ein verantwortungsvoller europäischer Mitgliedsstaat zu sein und alles daran setze, die Grenzen zu sichern. Über eine Neuausrichtung der Dublin Politik, eine gerechtere Verteilung innerhalb Europas will niemand mit mir sprechen.

Bei einem Besuch im Auffanglager in Elchovo fällt mein Blick auf ein marodes Gebäude mit Gittern vor den Fenstern. Das ist der erste Ort, an dem Flüchtlinge landen, wenn sie es über die Grenze schaffen. Um sicherzustellen, dass alle Daten erfasst werden, sperrt man sie ein. Mutter, Vater, drei Kinder. Sie kommen aus Syrien. Da sie keinen Pass haben, zweifelt die Behörde ihre Herkunft an. Es ist ungewiss ob sie in Europa bleiben dürfen.

Da das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, der UNHCR, im vergangenen Jahr festgestellt hat, dass sowohl die Aufnahmebedingungen von Asylsuchenden als auch die Asylverfahren in Bulgarien eklatante Mängel aufweisen, durch die Asylsuchende einer tatsächlichen Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt werden, habe ich in der Nähe von Sofia eine Erstaufnahmeeinrichtung besucht.

Mittlerweile hat sich dort viel verändert. Die Gebäude wurden saniert, es wurde medizinische Versorgung aufgebaut und Waschmaschinen angeschafft. In meinem Gespräch mit den Flüchtlingen fand ich heraus, dass es in Bulgarien kein Integrationskonzept gibt. Flüchtlinge, die die Einrichtung verlassen, landen in der Obdachlosigkeit. Kinder haben kein Anrecht auf Schulbesuch. Da ihr Asylanliegen in Bulgarien bearbeitet wird, ist die Chance, aus der Armut auszubrechen und das ärmste Land der EU irgendwann zu verlassen, gering. Arbeit zu finden und ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ist in Bulgarien ein hoffnungsloses Unterfangen.

Unsere Reise führt uns weiter nach Rumänien. Hier besuchen wir ein Projekt des UNHCR. Das so genannte Evacuation Transit Centre for Refugees. Ein Projekt, das es so nur einmal auf der Welt gibt.

Es ist eine Einrichtung für besonders schutzbedürftige Menschen aus Krisenregionen, die mit Hilfe des UNHCR nach Rumänien ausgeflogen werden und von dort nach weiterer Prüfung in kooperierende Staaten umgesiedelt werden. Die rumänische Regierung hat sich bereit erklärt, den Transit auf rumänischem Staatsgebiet durchzuführen. Derzeit warten 200 Menschen auf die Ausreise.

Die Relocation und Resettlement Programme der Vereinten Nationen sind eine der wenigen Möglichkeiten, legal und sicher in die EU zu kommen. Deutschland beteiligt sich leider nur marginal an diesen Programmen.

Ich fahre mit gemischten Gefühlen. Die Realität dieser harten Grenzpolitik und die Verzweiflung der Menschen vor Ort hat mich mitgenommen. Sie bestärken mich aber auch in unserem Anliegen für einen Paradigmenwechsel in der europäischen Flüchtlingspolitik zu kämpfen. Es reicht nicht, sich auf Mechanismen zu verständigen, wie man Flüchtlinge aufnimmt und verteilt. Eine echte gemeinsame Asylpolitik in der EU muss dafür sorgen, dass Flüchtlinge überall in der EU die gleichen Chancen haben. Die europäischen Länder mit Außengrenzen leisten viel bei der Sofortaufnahme von Flüchtlingen. Es ist nur fair, wenn wir, die Staaten abseits der Grenzen, engagierter sind bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Wer wirklich ein Interesse daran hat, dass das Sterben an unseren Grenzen aufhört, der muss Wege für eine legale Einreise schaffen.

Deutschland tut viel, aber auch wir können besser werden. Abschiebegefängnisse, der nachrangige Arbeitsmarktzugang, fehlende Sprachangebote, geringere soziale Leistungen und weitere Restriktionen, an denen die große Koalition nicht rüttelt, werden verhindern, dass diese Menschen irgendwann tatsächlich in Deutschland ankommen und hier selbstbestimmt als Teil unserer Gesellschaft leben.